XIII. Mitten in der Welt
1. Medien
Mutter Teresa:
Mutter Teresa war mindestens zwanzig Jahre lang eine der bekanntesten Frauen der Welt, und dies, obwohl sie äußerlich rein gar nichts mitbrachte, was den diesbezüglichen Erfordernissen zu genügen schien. Sie hatte nichts und hatte das einzig Entscheidende: Gott als Manager.
Er rückt die vergänglichen Werte von Ruhm und Ehre bei den Menschen alle Generationen wieder ins rechte Licht, wenn ein Mensch auftritt, der allein die Ehre Gottes sucht und dadurch jenseits aller gängigen Maßstäbe zu Hause ist. Jemand derartig außergewöhnlich
Außergewöhnlicher wird dann aber natürlich erst recht wieder interessant.
Ihre Biographin Kathryn Spink schreibt dazu:
„Die Tatsache, dass so viele Autoren, Regisseure, Journalisten und Fotographen Mutter Teresa zum Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit machten, rief natürlich Unmut und Eifersucht hervor...
Mutter Teresa war sich wohl der lobenswerten Arbeit zahlreicher anderer Menschen in Indien und anderswo bewusst : ,Warum dieses ganze Getue um uns?’ , protestierte sie gelegentlich.
,Andere tun dieselbe Arbeit wie wir. Vielleicht sogar besser. Warum hebt man uns so hervor?’
Alle ihre privaten Beteuerungen, dass sie lieber einen Leprakranken waschen würde, als eine Pressekonferenz zu geben, konnten allerdings nichts daran ändern, dass sie auf ihre ganz natürliche Weise ein ,Medienmensch’ war.“ [293]
„Wie ich schon öfter gesagt habe, komme ich - wenn für sonst nichts - wegen all der Publicity in der Himmel, denn sie hat mich geläutert und mir Opfer auferlegt und mich wirklich bereit gemacht, in den Himmel zu gehen.“ [294]
Frère Roger:
Frère Roger hat ebenfalls einen recht unbefangenen Umgang mit den Medien, für die natürlich auch er eine sehr begehrte Persönlichkeit ist. Seit mehr als dreißig Jahren wird vor allem im französischen Fernsehen über Taizé berichtet, und entscheidende Ereignisse in der Geschichte dieses Ortes wurden stets auch von den verschiedensten Journalisten dokumentiert.
Viel Klugheit hat der Prior der Communauté gerade in diesem sehr heiklen Bereich bewiesen, und das Geheimnis der schlichten Gegenwart Gottes an diesem Ort gut behütet.
„Ich muss erfahren, was man aus meinem Schreiben an Paul VI. gemacht hat. Französische Zeitungen hatten einige Sätze daraus veröffentlicht.
Auf dieser Grundlage gab ein kirchlicher Pressedienst, ohne mich wörtlich zu zitieren, einen Kommentar ab, der den Sinn meines Schreibens völlig verdrehte.
Soll ich durch die Presse antworten?
Nein. Sooft ich in meinem Leben angegriffen wurde, habe ich mit mir gekämpft, Schweigen zu bewahren.“ [295]
„Es wäre so bequem, sich der Presse gegenüber zu den Schwierigkeiten zu äußern, denen wir bei manchen leitenden Persönlichkeiten in der kirchlichen Institutionen begegnen.
Das würde uns sofort Sympathien einbringen, aber wir würden es uns damit zu leicht machen.
Es würde bedeuten, der Gemeinschaft im Leibe Christi entgegenarbeiten.
In solchen Zeiten schweigen ist eine Form der Askese.
Man muss versuchen, den Gegner zu verstehen, dann wird sich vielleicht eines Tages wider alle Erwartung ein Dialog von Mensch zu Mensch entspinnen, und alles wird sich klären.“ [296]
2. Technik
Mutter Teresa:
Mutter Teresa gebrauchte immer nur das absolute Minimum an Technik und Ausstattung, denn nahezu alles, was damit zu tun hatte, erschien ihr als Verschwendung.
Im Abschnitt über die Organisation wird ihre diesbezügliche konsequente Haltung noch näher erörtert werden.
Frère Roger:
Frère Roger interessiert sich sehr für die wissenschaftlichen Entdeckungen und neuen Technologien, soweit sie geeignet sind, die Lebensbedingungen der Menschheit zu verbessern.
Sehr genau informiert er sich über die Ergebnisse der Ernährungswissenschaft, vor allem über bisher unbekannte Methoden der Nahrungsmittelproduktion, die Lösungen für Gegenden bereitstellen, in denen der Hunger zum Dauerzustand geworden ist.
„Jede Zivilisation trägt auch Gefahren in sich. Aber welcher Art die Zivilisationen auch sind, Christus ist da, ist den Menschen nah, auch dem heutigen Menschen, der versucht, mit Hilfe neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in einem Teil der Schöpfung die Harmonie wiederherzustellen.“ [297]
„Angst haben vor Aufsehen erregenden wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen?
Nein. Wissenschaft und Technik können aufbauen wie zerstören, alles hängt davon ab, wie man sie einsetzt.“ [298]
3. Ehrungen
Mutter Teresa:
Unbekümmert sammelte Mutter Teresa Preise und Ehrungen, aber der einzige „Orden“, den sie trug war das kleine Kreuz zur Erinnerung an das Leiden Christi, das sie wie alle ihre Mitschwestern mit einer Sicherheitsnadel an der linken Schulterseite ihres Saris ansteckte.
Es gab mehrere Gründe, warum sie diese Unmenge an Auszeichnungen überhaupt annahm:
Zuallererst war es für sie eine Gelegenheit, die Frohe Botschaft von Jesus Christus zu verkünden.
Darüber hinaus konnte sie bei derartigen Verleihungen für ihre Armen sowohl Aufmerksamkeit als auch finanzielle Unterstützung erlangen.
Und schließlich schenkten ihr bei diesen Gelegenheiten Menschen Gehör, die sie sonst nie erreicht hätte, und die sie auch auf umstrittene oder totgeschwiegene Themen ansprechen konnte.
Die folgenden drei Geschichten können das eben Gesagte jeweils verdeutlichen.
Pater Leo Maasburg erinnert sich:
„Als man ihr in Südindien ein Ehrendoktorat verlieh (ich denke es war ihr 38.), sprachen viele Redner bei diesem Anlas über ihr soziales Werk und hoben ihre Verdienste hervor. Auch Bischöfe und Priester waren darunter .
Mir fiel auf, dass niemand von Jesus gesprochen hatte. Wie traurig, hatte ich mir gedacht.
Dann ist Mutter Teresa zum Rednerpult gegangen. Weil sie so klein war, konnte sie kaum darüber hinaussehen.
Und ihre ersten Worte: ,Jesus hat uns so geliebt...’“ [299]
Als in der ersten Zeit ihrer Arbeit eines Tages eine Schwester aus Agra am Telefon dringend um
50 000 Rupien für ein Kinderheim bat, sagte sie: ,Es tut mir leid, es geht nicht. Wir haben das Geld nicht.’ Am selben Tag erhielt sie telefonisch die Nachricht, sie habe von der Regierung der Philippinen den Magsaysay - Preis für internationale Verständigung erhalten.
Als sie hörte, mit dem Preis verbunden sei ein Betrag von ungefähr 50 000 Rupien, sagte sie, während sie den Hörer auflegte: ,Anscheinend will Gott ein Kinderheim in Agra’“ [300]
Dass ihre große Offenheit in der Annahme dieser Preise selbst bei ihren engen Vertrauten manchmal auf (vorübergehendes) Unverständnis stieß, zeigen die Worte von Pater Benedict Groeschel[301] sehr deutlich :
„Ich hatte gehört, die Universität von Harvard wolle Mutter Teresa die Ehrendoktorwürde verleihen, und dachte mir, dass dies völlig verrückt sei.
Ich rief sie an und sagte ihr: ,Fahre bitte nicht dorthin. Es wäre, als ob Jesus einen Ehrenpreis des Hohen Rates annehmen würde.’
Sie fuhr hin. Und wissen Sie, worüber sie sprach? Über die Schönheit der Keuschheit!
Während ihrer Rede herrschte in der Halle mit den 3000 Menschen völlige Stille.
Und als sie geendet hatte, brach ein zehnminütiger Begeisterungssturm mit standing ovations los.
Die meisten ihrer Zuhörer suchten nachher in den Wörterbüchern, was denn das Wort ,Keuschheit’ überhaupt bedeute.“
Mutter Teresas Rede in Oslo anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises 1979 ist schon legendär geworden, und viele Zitate daraus finden sich auch in dieser Arbeit.
Einen großen Teil dieser Ansprache widmete sie den ungeborenen Menschen, und das, obwohl in Norwegen erst kurz zuvor ein Gesetz zur finanziellen Unterstützung deren Tötung beschlossen worden war.
„Wir reden von Frieden. Das sind Dinge, die den Frieden brechen, aber nach meiner Überzeugung ist der größte Zerstörer des Friedens die Abtreibung, denn sie ist ein direkter Krieg, ein direktes Töten, ein direkter Mord durch die Mutter selbst.
Und wir lesen in der Schrift, dass Gott deutlich sagt: ,Selbst wenn eine Mutter ihr Kind vergessen könnte, werde ich euch nicht vergessen, ich habe Euch in meine Hand geschrieben.’
Wir sind in seine Hand eingeschrieben, sind ihm so nah.
Das ungeborene Kind ist in der Hand Gottes eingeschrieben.“ [302]
Mutter Teresa überlegte schließlich sogar schon, ob sie nicht alle Orden, Diplome und Auszeichnungen verkaufen könnte, um dadurch den Armen zu helfen.
Ihre Mitschwestern überzeugten sie aber schließlich davon, dass diese Dinge keinen Geldwert besäßen.
„Ich weiß nicht, warum Universitäten und Colleges mir Titel verleihen. Ich weiß nie, ob ich annehmen soll oder nicht; es bedeutet mir nichts.
Aber es gibt mir die Gelegenheit, Menschen von Christus zu erzählen, die sonst nichts von ihm hören würden.“ [303]
Frère Roger:
1974 wurde Frère Roger mitgeteilt, er habe den „Templeton- Preis“ für Verdienste im religiösen Bereich zugesprochen erhalten. Er wusste von diesem Preis nur, dass im Jahr zuvor Mutter Teresa ihn erhalten hatte.
Der Prior erfuhr schließlich, dass dem Gremium, das über die Preisverleihung entschied und sich aus Gläubigen des Buddhismus, Hinduismus, Islam und des Judentums zusammensetzte, auch sein guter Freund Eugene Carson Blake, ehemaliger Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen angehörte.
Das war für ihn Grund genug den Preis anzunehmen.
Die mit der Auszeichnung verbundene beträchtliche Geldsumme schenkte er Jugendlichen, die sich unter anderem in Nordirland für Versöhnung einsetzten.
Im selben Jahr erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Bei der Feierstunde in der Frankfurter Paulskirche sprach Frère Roger nicht allein, sondern führte mit Jugendlichen der verschiedenen Kontinente ein vorbereitetes Gespräch, während etwa hundert weitere Jugendliche auf dem Podium sitzend zuhörten.
An die Feier schloss sich ein Festessen in einem vornehmen Frankfurter Hotel an, bei dem sich die Jugendlichen in Pullovern und Jeans und die Vorsitzenden des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in ihren dunklen Anzügen buchstäblich an einen Tisch setzten, was in der damaligen Zeit der harten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen den Generationen ein höchst ungewöhnliches Ereignis war.
„Nimm diesen Versöhnungspreis an in aller Herzenseinfalt, ohne darin etwas anderes zu sehen als eine Bekräftigung von Seiten der Glaubenden - Buddhisten, Hindus, Muslimen, Juden und Christen- für den Glaubenden, der zu sein du dich Tag für Tag bemühst.“ [304]
4. Organisation
Mutter Teresa:
Mutter Teresa verfügte über ein Organisationstalent, um das sie so mancher Konzernchef beneidet hätte. Ihr Gespür dafür, wo auf der Welt die Not am größten war und wo sie ihre Schwestern am sinnvollsten einsetzen sollte, ließ erahnen, von wem sie sich dabei beraten ließ.
Die gesamte Verwaltungsarbeit für ein ungemein effektives Hilfswerk mit 80 000 Mitarbeitern in 67 Ländern, 120 Schulen und Obdachlosenheimen allein in Indien schafften zwei Schwestern mit ein paar altersschwachen Schreibmaschinen in Kalkutta.
Dahinter steckte ein einfaches Geheimnis, das dem neidvollen Manager freilich herzlich wenig genützt hätte: Ein fast schon naives Gottvertrauen, das die Schwestern vom Zwang zum ständigen Kalkulieren erlöste und für ihre unmittelbaren Aufgaben frei machte.
Ein deutscher Journalist, der Mutter Teresa in Kalkutta besuchte schrieb zu diesem Thema:
„Es ist unmöglich. Eine multinationale Organisation, deren Spendenaufkommen auf
50 Millionen Dollar geschätzt wird, kann so nicht verwaltet werden.
Nicht mit einem einzigen Telefon, dem in Mothers Zelle. Nicht mit ein paar mechanischen Schreibmaschinen. Nicht ohne Finanzplanung, Rücklagen und Haushaltsrahmen. Nicht in jeder Entscheidung abhängig von einer 85 jährigen Greisin, in deren Gedächtnis kein Tag mehr hängen bleibt. Es kann nicht funktionieren. Nicht so.
Es funktioniert. Seit 45 Jahren.“
„Mother regiert die 3300 Schwestern ihres Ordens mittels kleiner gelber Kärtchen, auf die sie mit Kugelschreiber Anweisungen schreibt. Ihre Sendschreiben werden per Kohlepapier vervielfältigt. Sie denkt nicht an Morgen, sondern kümmert sich um das Nächstanstehende, so wie sie sich zeitlebens um ihren Nächsten gekümmert hat, spontan und nicht zu fassen.
Jede Ausgabe über 5000 Rupien, das sind 250 Mark, muss von der Ordensgründerin genehmigt werden.
Das Geheimnis des Ordens ist, dass es kein Geheimnis gibt, keine schwarzen Kassen oder grauen Eminenzen. Nur ein unbedingtes Gottvertrauen.
,It works’, sagen die Schwestern, und jede kann erzählen, wie sie gerade einen Mixer kaufen wollte, und schon zog jemand am Glockenstrang des Mutterhauses und hatte einen Mixer dabei.
,Gott wird Sorge tragen. Believe me.’“ [305]
„Ich denke nie über Geld nach. Es kommt stets. Der Herr schickt es uns.
Wir tun sein Werk, er sorgt für die Mittel. Wenn er sie uns nicht gibt, dann bedeutet das, dass er das Werk nicht wünscht. Wozu sich da aufregen?“ [306]
Frère Roger:
Auch Frère Roger und seine Mitbrüder beschränken den Organisationsaufwand auf das Allernotwendigste, obwohl sie in Taizé ständig Tausende von Gästen zu versorgen haben.
Einmal im Jahr bewegen sie dann etwa achtzigtausend Jugendliche aus ganz Europa in eine Metropole des Kontinents, um für vier Tage ein Fest des Glaubens zu feiern.
Die Teilnehmer daran werden in lokalen Gastfamilien untergebracht, und die jeweilige Stadt in ein großes Dorf namens Taizé verwandelt.
5. Begegnungen
Mutter Teresa:
Diese zwei Erzählungen am Schluss des Kapitels sollen noch einmal nahe bringen, wer Mutter Teresa war: Eine echte Christin, nicht von der Welt , aber mitten in der Welt .
„Wir haben im südlichen Teil der Bronx in New York ein Haus. Der Taxifahrer weigerte sich, mich dorthin zu bringen. Ich sagte zu ihm: ,Ich setze mich jetzt neben Sie, und Sie werden sehen, dass weder Ihnen noch mir etwas zustößt.’ Ich stieg ein, und wir fuhren los.
Sehr überrascht sah er, wie die Schwestern mich freudig begrüßten und die Leute winkten.
Auch ein paar Betrunkene erkannten mich, sprachen mich an und nahmen den Hut ab...
Er konnte es nicht fassen, er konnte diese Präsenz nicht einordnen.“ [307]
Als die weiß gekleideten kontemplativen Schwestern zum ersten Mal in einen Park in New York gingen und den Rosenkranz beteten, erblickte sie ein Mann und begann zu rufen:
„Ich bin nicht bereit, ich bin noch nicht bereit!“
Die Schwestern gingen zu ihm und sagten: „Wir sind Schwestern. Gott liebt dich.“
Er wiederholte: „Ich bin nicht bereit! Ihr seid Engel, ihr seid vom Himmel gekommen, um mich zu holen. Und ich bin noch nicht bereit.“ [308]