V. HEILIGE SCHRIFT UND VERKÜNDIGUNG
1. Heilige Schrift
Mutter Teresa:
Mutter Teresa lebte aus und nach der Heiligen Schrift.
Sie war durch und durch vom Wort Gottes geprägt, das ihr immer wieder neu Quelle der Inspiration und der Freude war. Oft entfaltete sie ausgehend von einem Bibelvers ihre Gedanken und zeigte dabei ihr großes Verständnis und ihre Geistbegabung.
Aufgrund ihrer großen Lebenserfahrung gelang es ihr auch auf meisterhafte Weise, die biblischen Botschaften in die heutige Zeit hineinzutragen.
Die Bibel war für Mutter Teresa als Ordensfrau natürlich eine ständige Begleiterin, und sie verband sie ganz natürlich mit ihren täglichen Aufgaben. Insbesondere die eigentlichen Adressaten der Frohen Botschaft, die Armen, berührten sie sehr tief.
Der Keim zu ihrer späteren Berufung in der Berufung wurde wahrscheinlich schon sehr früh und unbemerkt von Gott in ihr Herz gelegt, als sie beim Lesen der Schrift immer wieder auf Jesu Zuneigung zu dieser Menschengruppe stieß.
Mit den Armen sind aber natürlich auch die geistlich Armen gemeint, die sehr häufig gerade unter den materiell Reichen zu finden sind. So war es Mutter Teresa aufgrund ihrer Aufenthalte in den westlichen Ländern sehr bald klar, dass die Bibel genauso diese Form der Armut kennt.
Eine der von ihr am häufigsten zitierten Schriftstellen ist die Schilderung des Weltgerichts in
Mt 25,31-46. Die zentrale Aussage ist hier das Wort Jesu: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Im Bewusstsein gerade dieser Tatsache versuchte Mutter Teresa Jesus in den Menschen in verschiedensten Notlagen zu erkennen und ihm durch sie alles erdenklich Gute zu tun.
Im Miteinander von Gottesliebe und Nächstenliebe wird auch erst das Zusammenleben der Menschen möglich.
Daher machte diese beständige Suche nach dem verborgenen Jesus Mutter Teresa zu einem Kind Gottes, das seine Geschwister auf außergewöhnliche Weise liebte.
Sie, die sich von ihrem Schöpfer und Erlöser so sehr geliebt wusste, wollte auch sein Gebot:
„Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe.“ (Joh 13,34) von ganzem Herzen erfüllen.
Weil Jesus seine Liebe durch sein Leiden und durch seinen Tod am Kreuz bewiesen hatte, schien ihr dieser Weg der tiefste und überzeugendste zu sein.
Wort Jesu: „Lasst die Kinder zu mir kommen..., denn Menschen wie ihnen gehört das Himmelreich.“ (Mt 19,14) war für Mutter Teresa auch eine beständige Erinnerung an die ganz einfache Tatsache, dass der Mensch auf Gott hin verwiesen ist, und sich ihm, wie ein kleines Kind seinen Eltern, nähern darf.
Wiederum rückte sie damit eine oft vergessene Glaubenswahrheit in das allgemeine Bewusstsein einer Welt, die wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit das glückselige Leben ganz aus eigener Kraft erreichen will.
Die allermeisten Schwestern ihres Ordens waren ebenfalls von dieser gottkindlichen Einfachheit erfüllt und strebten an Stelle von großem Wissen nach großer Liebe zu Gott und den Menschen.
In den einzelnen Gemeinschaften pflegt man bis heute den täglichen Umgang mit dem Buch der Bücher. Getreu den Aussagen des zweiten vatikanischen Konzils wird dem Wort Gottes in der Bibel die gleiche Verehrung zuteil wie der Eucharistie : „Die Kirche hat die Heiligen Schriften immer verehrt wie den Herrenleib selbst, weil sie, vor allem in der heiligen Liturgie, vom Tisch des Wortes Gottes wie des Leibes Christi ohne Unterlass das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht.“ (Dei Verbum, 21).
„Das Wort Gottes wird Fleisch in uns während des Tages bei der Meditation, der Kontemplation, der Anbetung und in der Stille. Das Wort, das in uns ist, geben wir den anderen weiter. Das Wort muss in uns leben; wir müssen es verstehen, lieben und leben. Und wir können das Wort nicht leben, wenn wir es nicht anderen weitergeben.“ [110]
„Die Menschen hungern nach dem Wort Gottes, das Frieden, Einheit und Freude schenkt. Aber ihr könnt nicht geben, was ihr nicht habt. Deshalb ist es notwendig, das Gebetsleben zu vertiefen. Lasst euch von Jesus ergreifen, lasst ihn mit euch und durch euch beten. Dann werdet ihr wahrhaft kontemplative Menschen mitten in der Welt sein.“ [111]
Wir bemühen uns nach Kräften, dass die Menschen, die wir besuchen, das persönliche Gebet und das Gebet in der Familie, die Meditation , die geistliche Lesung und - wenn möglich - auch das Gespräch über das Wort Gottes in der Heiligen Schrift schätzen lernen und pflegen.
Bewusst verzichten wir darauf, das Ergebnis unserer Arbeit sehen zu wollen.
Wir tun alles, so gut wir können. Alles weitere überlassen wir Gott.“ [112]
Frère Roger:
Frère Rogers enge Beziehung zur Heiligen Schrift ist natürlich auch auf die evangelische Umgebung zurückzuführen, in der er aufwuchs. In der Familie Schutz wurde selbstverständlich die Bibel gelesen, und der Vater hatte als Pastor die hochgeschätzte Aufgabe, das Wort Gottes vor der Gemeinde auszulegen. Die genaue Vorbereitung auf diesen Dienst, die in der evangelischen Kirche verlangt wird, ließ den jungen Roger schon früh erahnen, welch unermesslich hohen Wert die Heiligen Schriften haben.
In seiner Zeit des Zweifels half ihm der schon erwähnte Psalmvers 27,8 entscheidend weiter und auch die Studentengruppe Grande Communauté hatte die Bibel als Lebensgrundlage.
Die Gemeinschaft der Brüder der Communauté gab dem Wort Gottes ebenfalls von Anfang an die ihm gebührende Ehre, sei es nun beim gemeinsamen Gebet oder in der meditativen Betrachtung des einzelnen.
Wie in vielen anderen Bereichen sind die Brüder auch hier den Anfängen treu geblieben und haben sie immer wieder aufs neue belebt.
Das Gebet als Herzstück des gemeinsamen Lebens in Taizé besteht aus einem Psalm und einer Stelle aus dem Evangelium, die aufeinander bezogen sind. Dazu werden die oftmals wiederholten Lieder gesungen, deren Texte nahezu immer eine Schriftstelle entweder in Gesangsform gießen, oder doch eindeutig von ihr inspiriert sind.
Auch die Fürbitten in den verschiedensten Anliegen können im Licht der aktuellen Evangelienstelle vorbereitet werden, und die abschließenden Gebete von Frère Roger enthalten meistens die auf wunderbar einfache Weise ausgedrückte Mitte der Frohen Botschaft.
Im alle zwei Monate erscheinenden Brief aus Taizé finden sich die aktuellen Schriftstellen abgedruckt, die beim Mittagsgebet in Taizé gelesen werden, sodass ein jeder im Geiste und im Wort mit dabei sein kann. Daneben gibt es einen kurzen Kommentar zu einer besonders wichtigen Stelle mit einigen Fragen, der zum gemeinsamen Betrachten des Wortes Gottes einlädt.
An anderer Stelle werden wichtige Glaubensthemen angesprochen, wobei die vorgebrachten Meinungen immer sehr fundiert mit Bibelzitaten begründet werden, wodurch der Leser wiederum angeregt wird, die entsprechenden Stellen genauer kennen zu
lernen .
Bei den Treffen in Taizé spielen die Bibelbetrachtungen in der Gruppe eine große Rolle, bei denen ein erfahrener Bruder eine Schriftstelle auslegt und Anregungen für das gemeinsame Gespräch gibt. Je nach Vorwissen kann man seine Gruppe wählen, und auf diese Weise wird sowohl beginnenden als auch erfahreneren Bibellesern eine bereichernde Möglichkeit zur Teilnahme gegeben.
Die Gemeinschaft von Taizé und ihr Prior sind natürlich so eng miteinander verbunden, dass mit dem oben Beschriebenen schon sehr viel über Frère Roger mit ausgesagt worden ist.
Zusätzlich sei noch auf seine vielen Bücher verwiesen, die alle mehr oder weniger immer im Zusammenhang mit der Heiligen Schrift stehen, sei es nun in der Form des Weges vom aktuellen Thema zur Bibel oder umgekehrt.
Gerade an den Tagebuchaufzeichnungen kann man erkennen, wie tief sein Leben vom Wort Gottes getragen ist und von dort unerschöpfliche Inspiration erfährt.
Frère Rogers meistverbreitetes Werk, der alljährlich neu erscheinende und in über fünfzig Sprachen übersetzte Jahresbrief aus Taizé, ist schließlich eine vierseitige Schrift von ganz eigenständiger und einzigartiger Spiritualität.
In seinem unverwechselbaren Stil gelingt es ihm immer wieder aufs neue, das Ostergeheimnis unseres auferstandenen Herrn Jesus Christus von verschiedenen Blickwinkeln her in seiner ganzen Tiefe darzustellen, wobei eine Bibelstelle nach der anderen sehr kunstvoll in den Text verwoben wird.
„Jesus Christus, du hast mir wiederholt gesagt: Lebe das wenige, das du vom Evangelium begriffen hast, verkünde mein Leben unter den Menschen, komm und folge mir nach.
Und eines Tages kam ich zur Quelle zurück und begriff es: Du wolltest meinen unwiderruflichen Entschluss.“ [113]
„Auch die katholische Kirche hat immer in der Schrift eine Quelle für das Leben in Gott gesucht. Werden die Katholiken jedoch anerkennen, dass das Beste der evangelischen Kirchen darin liegt, die starke Auswirkung des Wortes Gottes auf das persönliche Leben entdeckt zu haben ?
Immer geht es darum, dieses Wort Gottes - nicht aus dem Zusammenhang herausgegriffen, sondern im Gesamtverständnis der Schrift betrachtet - sofort in die Tat umzusetzen.“[114]
„Wie kann man die einzigartige Quelle entdecken, wo sich das Evangelium in seiner ersten Frische zeigt ?
Zu Beginn kommt es nicht auf umfangreiche Kenntnisse an; sie sind von großem Wert. Aber das Geheimnis des Glaubens erschließt sich zunächst auf dem Weg der Intuition.
Die Kenntnisse werden sich einstellen. Man kann nicht alles auf einmal haben.“ [115]
2. Verkündigung
Mutter Teresa:
Mutter Teresas Predigt war ihr Leben, und ihre eigentliche Berufung der Dienst an den Armen. Und doch besaß dieses Leben eine derartige Faszination, dass sie immer wieder von den verschiedensten Menschen und zu den verschiedensten Anlässen gebeten wurde, darüber zu erzählen.
Zuerst stand ihr gelebter Einsatz im Auftrag des Allerhöchsten, und den meisten ihrer Zuhörer war wohl wenigstens in Umrissen ihre Arbeit bekannt. Ihre so unscheinbare äußere Gestalt war dabei nahezu völlig nebensächlich, ja bestärkte geradezu noch das Interesse an diesem Menschen, der fernab der üblichen, überholten Wertmaßstäbe lebte und trotzdem höchstes Ansehen genoss.
Wo auch immer sie auftrat, kam sie gewissermaßen mit dem Bonus ihrer durch ein einzigartiges Werk erworbenen Autorität und hatte dann nahezu völlig freie Hand über das Thema zu sprechen, das ihr gerade besonders am Herzen lag.
Eindeutiger konnte das Beispiel der kleinen Nonne wohl kaum sein, die hier fernab von theoretischen Konzepten den Königsweg der Verkündigung auf beeindruckende Weise zeigte.
Das eigene Leben, immer wieder das eigene Leben, ist und bleibt der Ausgangspunkt und die Visitenkarte eines Predigers im Namen Jesu.
Ihre Liebe zu Gott und den Menschen, die dabei spürbar wurde, galt auch allen zu denen sie sprach, den Armen und Reichen, Männern und Frauen, Muslimen und Hindus, Opfern und Tätern, und so trug sie zur Versöhnung zwischen den verschiedensten Gruppen bei.
Ihre eigene Person genoss derartige Wertschätzung, dass sie selbst politisch schwierige Unternehmungen wagen konnte, und die Kritiker, an denen es natürlich auch nie fehlte, schlussendlich meist klein beigeben mussten.
In erstaunlicher Sicherheit bediente sich Mutter Teresa zur Verkündigung der Frohen Botschaft aller Mittel, die ihr zur Verfügung standen. Ob Radio, Zeitung oder Fernsehen, alles war ihr recht, solange sie damit „etwas Schönes für Gott“ tun konnte. Ein besonderer Beweis ihrer Heiligmäßigkeit war hierbei die Tatsache, dass selbst über das der Illusion so zuträgliche Medium Fernsehen eine Ahnung ihrer einzigartigen Ausstrahlung sichtbar wurde. Der Moderator eines britischen Senders dankte ihr einmal begeistert, dass sie durch ihre bloße Anwesenheit das kalte und nüchterne Studio in einen Ort des Friedens verwandelt habe.
Die weltberühmte Nonne sprach klare Worte, die mitten aus dem Leben kamen. Sie konnte über reale Begebenheiten in all ihrer Spannung erzählen und praktisch alle ihre Geschichten hatten einen dramatischen Hintergrund.
Sie sprach davon, was sie selbst oder ihre engen Mitarbeiter erlebten und das war oftmals schlichtweg unglaublich. Mutter Teresa verstand alle diese Begebenheiten immer im Zusammenhang mit dem liebenden Gott, der uns in Jesus Christus unendlich nahe gekommen ist und uns durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen aus der Sklaverei der Sünde befreit hat. Sein Wirken in der Welt und im Leben jedes Einzelnen wollte sie damit für ihre Zuhörer sichtbar machen, und sie dazu bewegen, diesem liebenden Gott ihr Vertrauen zu schenken.
„Wir wollen dieses Jahr zu einem ganz besonderen Jahr des Friedens machen. Deshalb werden wir mehr zu Gott und mit Gott sprechen und weniger mit den Menschen und zu den Menschen. Verkünden wir den Frieden Christi, wie er es getan hat. Er zog umher und tat Gutes (vgl. Apg 10,38).
Er ließ nicht von den Werken der Barmherzigkeit ab, als die Pharisäer und andere ihn hassten oder versuchten, das Werk des Vaters zu zerstören. Er zog weiter umher und tat Gutes.
Kardinal Newman schreibt: ,Hilf mir, deinen Wohlgeruch zu verbreiten, wo immer ich hinkomme. Gib, dass ich dich verkünde, ohne zu predigen: nicht mit Worten, sondern durch mein Beispiel:“ [116]
„Die Schwestern sollten in den Slums einen Platz finden, wo sie mit den Kindern von den Straßen zusammenkommen können, wer sie auch sind. Zuerst sollen sie sich darum kümmern, dass die Kinder sauber sind und zu essen haben, dann bringen sie ihnen ein wenig Lesen und Schreiben bei.
Über die Religion sollten sie zu ihnen auf ganz einfache, interessante Weise sprechen. Das, was die Schwestern unterrichten, soll den Kindern Freude machen und zugleich lehrreich sein.“ [117]
„Bleibe bei uns, dann werden wir leuchten, wie du leuchtest, Licht für die anderen zu sein. Das Licht, Jesus, wird ganz von dir kommen. Nichts davon wird von uns sein. Du wirst auf andere scheinen, durch uns. Deshalb wollen wir dich auf die Art preisen, die du am meisten liebst: indem wir auf die Menschen um uns scheinen. Gib, dass wir dich predigen, nicht mit Worten , sondern durch unser Beispiel, durch die Überzeugungskraft, die anziehende Art unserer Arbeit, die unverhohlene Fülle der Liebe zu dir, die wir im Herzen tragen.“ [118]
Frère Roger:
Frère Roger hat auch im Bereich der Verkündigung viele Ähnlichkeiten mit Mutter Teresa.
Große Worte hatte er schon oft gehört, aber darauf folgende Taten und Beispiele nur selten gesehen.
Seine ureigenste Berufung war ein Leben für die Versöhnung in ihren vielen Dimensionen, und er begann schon sehr früh, damit Ernst zu machen. Das, was er verkündigen wollte, versuchte er zuerst selbst zu verwirklichen, und indem er dies tat, verkündigte er schon.
Seine oft ausgedrückte freudige Verwunderung über das Wirken Gottes auf dem unscheinbaren Hügel in Burgund lässt erkennen, dass seine ureigenste Absicht bei der Gründung der Communauté auf eine wunderbare Weise zugleich erfüllt und noch unendlich überboten worden ist.
Die Gemeinschaft, die sich zusammenschloss, um, als lebendiges Gleichnis für die Welt, sich tagtäglich zu versöhnen, hat mit genau dieser unaufdringlich ausgesprochenen Botschaft ein derartiges Echo empfangen, wie niemand es ahnen konnte.
Das Zeugnis eines wahrhaft christlichen Lebens ist so stark, dass es wie von selbst für seine Verbreitung sorgt. Gerade das Beispiel der Heiligen, die im Verborgenen wirkten und denen eine erstaunliche Bedeutung für die Welt geschenkt wurde, ist hier von bleibender Aktualität.
Thérèse von Lisieux führte im Karmelitenkloster ein rein kontemplatives Leben, das zu ihren Lebzeiten von der Außenwelt nahezu unbemerkt blieb. Allein aus ihrer innigen Gottverbundenheit erwuchs ihre große Bedeutung, und der Ort ihres stillen Wirkens ist eine viel besuchte Pilgerstätte geworden.
Ihre Lebensmaxime des kleine Wegs hat viele Ähnlichkeiten mit dem Weg Frère Rogers. Und ihr Satz: „Man muss nicht Großes tun, sondern die kleinen Dinge in großer Treue tun.“ hat eine auffällige geistliche Nähe zu manchen seiner Aussprüche.
Frère Roger verkündigte zuerst mit seinem Leben, und erst daraus wuchs ihm die Aufgabe der Wortverkündigung im engeren Sinn zu. Besonders am Beginn der unerwarteten Berufung zum geistlichen Vater für unzählige Jugendliche war ihm dieses Amt eine große Last.
Er, der am liebsten der verständnisvolle Zuhörer in einem Gespräch mit einzelnen oder kleinen Gruppen war, musste nun immer wieder vor großen Menschenmengen sprechen , die sich von ihm ein Wort der Verkündigung erhofften, das ihnen selbst wieder Hoffnung geben könnte.
So gut es ging, vermied er solche Situationen, und scheute beispielsweise selbst bei der Einweihung der neu errichteten Kirche der Versöhnung Anfang der Sechziger Jahre davor zurück, ein Wort an die Festgemeinde zu richten.
Ähnlich wie Mutter Teresa fügte er sich aber schließlich in den immer deutlicher werdenden Auftrag des Herrn und widmete dieser Form der Verkündigung größere Aufmerksamkeit und eine besonders genaue Vorbereitung.
Auch die schriftliche Verbreitung der guten Nachricht gewann für Frère Roger erst allmählich an Bedeutung, und mit seinen regelmäßig erscheinenden Büchern erreichte er eine stetig wachsende Leserschaft.
Sein besonderes Bemühen galt hierbei einer getreuen Übersetzung der Botschaft vom auferstandenen Herrn Jesus Christus in die heutige Zeit mit ihren vielen Anfragen und Bedenken.
Aufgrund seiner außergewöhnlichen schriftstellerischen Begabung gelang es ihm im getreuen Bewahren der Grundsubstanz der beglückenden christlichen Botschaft, diese auf eine verständliche und annehmbare Weise den Menschen unserer Zeit zu verkünden.
Bis zum heutigen Tag ist Frère Roger einer der meistgehörten Botschafter des Herrn geblieben.
Beim ersten Weltjugendtreffen mit dem Papst 1984 in Rom war er gemeinsam mit Mutter Teresa dazu eingeladen worden, als ein vorbildlicher Zeuge des Auferstandenen zu den Zehntausenden Jugendlichen zu sprechen.
Viele weitere Einladungen gingen diesem Ereignis voraus und folgten ihm, ganz zu schweigen von den bisher zwanzig Europäischen Jugendtreffen, die die Communauté als faszinierendes Instrument der Verkündigung organisierte.
„Wenn wir durch den Auferstandenen die leuchtende Wirklichkeit begreifen, dass Gott nur seine Liebe schenken kann, fragen wir uns unweigerlich: Wie können wir anderen eine derart unumstößliche Hoffnung weitergeben ?
Christus Jesus stellt uns die alte und stets neue Frage: ,Liebst du mich ?’ Wenn ja, lädt er uns ein, den Menschen, die er uns anvertraut , das schlichte Vertrauen des Glaubens weiterzugeben.
Was helfen vorgefertigte Antworten bei der Weitergabe des Vertrauens auf den Auferstandenen?
Wir sind Arme Christi.
Deshalb kommt es darauf an, niemals sich aufzudrängen oder zu versuchen, das Gewissen eines anderen zu vereinnahmen.
Zuallererst soll unser Leben das Evangelium durchscheinen lassen!
Gibt es nicht auf der Erde Menschen, die die Heiligkeit Christi widerspiegeln, ohne es selbst glauben zu können ?“ [119]
„Könnten alle, die beauftragt sind, vor anderen das Evangelium auszulegen oder ein Gebet zu sprechen, sich sagen: ,Dein Gebet und deine Rede sollen nie die geringste Drohung im Namen Gottes enthalten!’
Gott ist Liebe. Er zwingt sich den Menschen nicht auf, indem er Angst einjagt. Christus hat, sogar als er misshandelt wurde, niemanden bedroht (vgl. 1 Petr 2,23).“ [120]
„In sich selbst hat das menschliche Wort keine Autorität. Es bekommt sie nur von Gott.
Daher ist der, der das Wort Gottes verkündigen muss, in einer furchtbaren Lage.
Oft würde er seinen Herrn, der ihn zwingt, mit voller Autorität zu sprechen, lieber zurückweisen.
Mischt sich die Sünde des Menschen nicht in sein Wort? Das ist eine schwerwiegende Frage, die eine dauernde Wachsamkeit erfordert. Wer sich darin übt, weiß, dass seine Autorität nur im Geist des Gebets wahrhaftig ist.“ [121]