III.   Das geistliche Leben / Der Weg zu Gott

 

 

 

1. Schweigen, Stille

 

 

Mutter Teresa:

 

Mutter Teresa war ein Mensch, der die Stille liebte und suchte.

Weil Gott ein Freund der Stille ist, der sich am liebsten im sanften, leisen Säuseln finden lässt (vgl. 1Kön 19,12), bemühte sie sich, ihm dort zu begegnen.

 

Je hektischer ihr gewöhnlicher Tagesablauf war, umso intensiver mussten die Zeiten der Stille in der Kapelle vor dem Tabernakel sein. Auch ihren Schwestern empfahl sie eindrücklich, den Herrn im Schweigen und in der Stille zu suchen, und richtete deren Arbeitsrhythmus so ein, dass sie dies auch tun konnten.

 

Dabei machten die äußeren Verhältnisse die Verwirklichung dieses Anliegens oft sehr schwierig. Das Mutterhaus in Kalkutta liegt zum Beispiel an einer stark frequentierten Durchzugsstraße, und einer ihrer engen Vertrauten,  Pater Leo Maasburg, beschrieb die Situation einmal folgendermaßen:

„Die Kapelle im Mutterhaus hat einen tiefen Eindruck in mir hinterlassen: Sie lag an der Circular Road, einer sechs - oder achtspurigen Straße, nicht asphaltiert. Jedes Mal, wenn ein Lastwagen vorbeifuhr, verstand man nicht ein Wort, das während der Messe drinnen gesprochen wurde, und es kam eine Staubwolke durch die Fenster herein. Und damit lebte sie, Jahre hindurch.“ [45]

 

Die von den Schwestern in den einzelnen Einrichtungen betreuten Armen waren oft sehr lautstark und der Lärm der Großstadt verstummte nur selten. 

Aber zumindest in der Früh, zu Mittag und am Abend hatten die Schwestern sorgsam gepflegte Zeiten der Besinnung, die die Basis für alle weiteren Tätigkeiten waren.

 

Mutter Teresa selbst war auch von der körperlichen Belastbarkeit her gesehen eine wirkliche Ausnahmeerscheinung. In den Anfangsjahren fand sie, wenn alle schon längst schlafen gegangen waren, noch Zeit für allfällige Zusatzaufgaben, wie zum Beispiel die liebevolle Vorbereitung einer Weihnachtsfeier der ersten Schwestern, und bis ins hohe Alter hinein erledigte sie einen großen Teil der Korrespondenz zu nächtlicher Stunde.

 

Eine Aufgabe, die ihr erst später zuwuchs, und die sie erstaunlicherweise viel mehr Anstrengung kostete, war das Halten von Reden vor einer großen Zuhörerschaft. Zur Vorbereitung darauf ging sie... in die Stille.         

Mutter Teresa verblieb für etwa eine Stunde in der Kapelle und sprach dann völlig frei, wobei die Frucht ihres Schweigens fast immer Worte waren, die ihre Zuhörer zutiefst erschütterten.

 

 

„Die Stille lässt uns alles auf neue Weise sehen. Wir brauchen Stille, um Seelen anrühren zu können.

Nicht was wir sagen ist wesentlich, sondern was Gott zu uns und durch uns sagt. Jesus wartet in der Stille immer auf uns...“ [46]

 

„Wir sind berufen, uns von Zeit zu Zeit in die Stille und Einsamkeit mit Gott zurückzuziehen, sowohl als Gemeinschaft wie als einzelne. Dann sind wir allein mit ihm, ohne unsere Bücher, ohne Gedanken und Erinnerungen, vollständig frei von allem, um liebend in seiner Gegenwart zu verweilen: still, leer, in Erwartung, gesammelt.“ [47]

 

„Gott ist ein Freund der Stille.“ [48]

 

 

Frère Roger:

 

Als Frère Roger einmal gefragt wurde, was für ihn zum Größten in seinem Leben zähle, antwortete er, dass dazu die gemeinsame Stille im Gebet gehöre. Und wirklich, seine ganze Person ist vom Geheimnis des Schweigens vor Gott geprägt, das auch den Ort seines hauptsächlichen Wirkens ganz erfüllt hat.

 

Die weltweite Strahlkraft Taizés begann in der Einsamkeit eines einzelnen Beters, der, in der Tradition seiner geschichtsträchtigen Umgebung in Burgund stehend, den verborgenen Gott vornehmlich in der Stille suchte.

 

Die Gebete der Communauté hatten von Anfang an immer einen längeren Abschnitt des Schweigens, dessen Dauer von der jeweiligen Situation abhängig war.

Gerade die Nichtchristen, die seit jeher nach Taizé geströmt sind, meinen oft, dass sie sich in diesen Momenten mit den anderen ganz eins fühlen und auf eine sehr tiefe Weise verstehen. 

 

Der ganze bisherige Tag und auch der Anfang des Gebets münden in die Stille ein und werden von ihr verklärt. Die Unterschiedenheiten der Sprachen und Meinungen verschwinden unbemerkt und werden in eine beglückende Einheit gehoben.

Der Blick kann sich auf den einzig Wesentlichen richten, und von ihm her wird die Gemeinschaft der in Stille Betenden mit tiefem inneren Frieden erfüllt.

In dieser andächtigen Situation bilden die Brüder gleichsam den Kern der schweigenden Gruppe und es liegt in der Intuition des Priors, die erfüllte Stille in die gesprochenen Fürbitten hinein ausklingen zu lassen.

 

Frère Roger und die von ihm gegründete Gemeinschaft haben mit ihren bescheidenen Mitteln so vielen Menschen wie kaum jemand anderer genau das zugänglich gemacht, was wir alle heute brauchen und suchen: Stille, die zum inneren Frieden mit Gott führt.

 

 

„Die Sprache des Menschen ist kaum geeignet, Gott zu sagen, was zutiefst in uns vorgeht. An manchen Tagen beten wir mit fast nichts. Christus mit leeren Händen nahe sein heißt schon beten. Er versteht unsere Worte, er versteht auch unser Schweigen. Und das Schweigen ist manchmal alles im Gebet.“ [49]

 

„Nicht eine Stille um jeden Preis anstreben, indem man in sich eine Art Leere hervorruft, Vorstellungen und Gedanken ausschaltet.

Im Gebet gehen einem Gedanken und Bilder durch den Sinn. Vielleicht dienen sie dem inneren Gleichgewicht. Wer sich bei den Worten überrascht: Meine Gedanken schweifen in die Irre, mein Herz geht in Stücke, erhält vom Evangelium die Antwort:

„Gott ist  größer als dein Herz.“ [50]

 

„Bleibst du dem Auferstandenen nahe in langen Zeiten der Stille, die zunächst wüst und leer zu sein scheinen ?

Die Stille scheint unerheblich. Aber in ihr reifen die mutigsten Entscheidungen.“ [51]

 

  

 

2.  Gebet

 

 

Mutter Teresa:

 

Mutter Teresa kam schon von frühester Kindheit an mit dem Geheimnis in Berührung, dass der Mensch mit Gott in Beziehung treten kann. In ihrer sehr gläubig geprägten Familie war es besonders die Mutter, die ihr und ihren zwei Geschwistern in einer Atmosphäre der Geborgenheit und des Vertrauens einen einfachen aber sehr tiefen Glauben erschloss.

Alle ihre Entscheidungen erwog Agnes von Kindheit an im Gebet, ganz besonders natürlich ihre großen Lebensentscheidungen. Dem Ruf nach Indien, den sie als junges Mädchen verspürte, folgte sie großherzig und ließ, wie einst die ersten Jünger, alles hinter sich. Auch hier ging sie in großer Gewissheit, weil sie diesen so wichtigen Schritt sorgsam geprüft hatte.

 

Die Jahre im Kloster der Loretoschwestern waren durchdrungen und getragen vom Stundengebet und der Heiligen Messe, und auch ihren vielen Schülerinnen konnte sie die Schönheit und Wichtigkeit des Gebets nahe bringen.

 

Schließlich rang sie wohl jahrelang im Gebet um ihren weiteren Lebensweg, denn der Herr schien sie sehr deutlich zu den Ärmsten der Armen in die Slums von Kalkutta zu rufen. Diese Berufung in der Berufung bedurfte natürlich einer besonders sorgfältigen Prüfung, und letzte Gewissheit erlangte sie erst auf einer Bahnreise von Kalkutta nach Darjeeling

am 10. September 1946.

 

Bezeichnenderweise las sie bei dieser Fahrt das Buch „Der Ruf der Wüste“ von Charles de Foucauld, dem geistlichen Vater der Kleinen Schwester und Brüder Jesu. Dieser außergewöhnliche Christ hatte nach mancherlei Irrwegen seiner Jugendzeit und seiner schließlichen Bekehrung noch jahrelang um seine eigentliche geistliche Berufung gerungen und diese schließlich in der algerischen Wüste beim Beduinenstamm der Tuareg gefunden.

Dort lebte er als einfacher Mönch mitten unter Nichtchristen und gab durch sein heiligmäßiges Leben ein faszinierendes Zeugnis für seinen Herrn. 

 

In ihrer Ordensgemeinschaft der Missionarinnen der Nächstenliebe war das Gebet von Anfang an das Fundament, auf dem alles andere ruhte. Dabei schöpfte Mutter Teresa aus ihrer eigenen Erfahrung, dass sie nur durch das Gebet in der Lage war, die enormen körperlichen und seelischen Belastungen ihres Dienstes unter den Armen zu ertragen.

 

Auch im Gebet waren die Schwestern ganz in der Kirche geborgen und gleichzeitig bereit für neue Inspirationen. Mutter Teresa gab 1973 die Anregung, dass jede Gemeinschaft ihrer Schwestern sich einmal am Tag für eine Stunde um den Tabernakel versammeln sollte. Der Segen, der von dieser Neuerung ausging, war so groß, dass sie schon sehr bald zum festen Bestandteil des Lebens der Schwestern wurde.

 

Im Anfang als aktiver Orden gegründet, wurde die Gemeinschaft sowohl bei den Schwestern als auch bei den Brüdern um einen kontemplativen Zweig erweitert. Eines der Häuser wurde interessanterweise in der berüchtigten Bronx in New York eröffnet, um mitten in der hektischen Metropole ein Ort des Friedens und der Ruhe zu sein.    

 

 

„Mein Geheimnis ist ganz einfach: Ich bete. Und durch mein Gebet werde ich eins mit der Liebe Christi und sehe, dass beten ihn lieben, dass beten mit ihm leben heißt, und das bedeutet, seine Worte wahr zu machen... 

Beten heißt für mich, 24 Stunden lang eins mit dem Willen Jesu zu sein, für ihn, durch ihn und mit ihm zu leben.“ [52]

 

„Darüber hinaus können wir unsere Sendung leben, indem wir für alle Geschöpfe beten.

Auf geistige Weise erreichen wir so die ganze Schöpfung Gottes, von den fernsten Planeten bis hin zu den Tiefen des Meeres, eine einsame Klosterkapelle wie eine verlassene Kirche, eine Abtreibungsklinik in einer Stadt und die Gefängniszelle in einer anderen..., ja den Himmel und die Pforten der Hölle.

Mit jedem Teil der Schöpfung sind wir verbunden. Mit jedem Geschöpf und für jedes Geschöpf beten wir, damit alle, für die das Blut des Sohnes Gottes vergossen wurde, gerettet und geheiligt werden.“ [53] 

 

 

 

 

Frère Roger:

 

Auch das Leben von Frère Roger ist geprägt vom Gebet in seinen vielfältigen Formen.

Als neuntes Kind einer Schweizer Pastorenfamilie wuchs er in einer betenden Gemeinschaft auf, die einen Grundstein in ihn legte, der auch den Stürmen einer von Zweifeln geplagten Jugendzeit standhielt. Interessanterweise war es ein Psalmvers, der ihm in seiner agnostischen Zeit neuen Glaubensmut gab: „Dein Angesicht, Herr, will ich suchen.“ (Ps 27,8).

 

Die von ihm mitbegründete christliche Studentengemeinschaft „Grande Communauté“ traf sich regelmäßig in einer Seitenkapelle der Kathedrale von Genf zum Gebet und auch die gemeinsamen Wochenenden waren vom Gebet geprägt.

 

Die Eigentümerin des Hauses in Taizé, das Frère Roger am 20. August 1940 zum ersten Mal sah, stand gerade am neunten Tag einer Novene, die sie für einen guten Verkauf desselben gebetet hatte, als sich der junge Mann bei ihr als Kaufinteressent meldete.

 

Die danach beginnenden Anfangsjahre der eigentlichen Communauté bis 1942 standen ganz im Zeichen des einsamen Gebets eines Menschen, der den Ruf spürte, eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten ins Leben zu rufen, mit dem Auftrag, sich jeden Tag neu zu versöhnen.

Während der zwei Jahre, als er Kriegsflüchtlinge in seinem Haus in Taizé aufnahm, betete er jeden Tag in der Früh, zu Mittag und am Abend in einem kleinen, zur Kapelle umgestalteten Zimmer und war sehr darauf bedacht, den Glauben seiner oft jüdischen Mitbewohner sorgsam zu achten.

 

Diesen Gebetsrhytmus behielt auch die Gemeinschaft der sieben ersten Brüder bei, die sich 1949 auf Lebenszeit an die evangelischen Räte banden.

 

Als Anfang der fünfziger Jahre die ersten Jugendlichen aus ganz Europa kamen, um für einige Zeit mit den Brüdern mit zu leben, war es vor allem das Gebet dieser Gemeinschaft, das sie wie magnetisch zu dem kleinen Ort in Burgund zog.

 

Und hier erfuhr das Prinzip von Bewahren und Voranschreiten eine interessante Erweiterung. Die Brüder begannen nämlich, schrittweise eine Gebetsform zu entwickeln, die ganz an altkirchlichen Traditionen orientiert war und diese kunstvoll miteinander verband. Die Tatsache, dass hier von Jahr zu Jahr mehr Menschen aus mehr Ländern der Erde zusammenkamen, machte es notwendig, nach einfachen aber intensiven Formen zu suchen, die von möglichst Vielen mit vollzogen werden konnten.

 

So entstanden die kurzen, oftmals wiederholten Gesänge in verschiedenen Sprachen, unter anderem Latein. Die Communauté bewahrte also durch die Erneuerung das Alte, und die Jugendlichen, die eben erst aufgrund deren vermeintlicher Antiquiertheit aus den Kirchen ausgezogen waren, fanden sich in Taizé zu noch älteren, aber erneuerten Gebetsformen zusammen.

 

Bis heute dreht sich in Taizé alles um das Gebet, und der gesamte  Tagesablauf ist auf die drei gemeinsamen Gebetszeiten ausgerichtet. Es gibt keine andere Ordensgemeinschaft auf der ganzen Welt, an deren Gebet so viele Menschen aktiv teilnehmen können, und auch dieser Umstand zollt ihrem Gründer und Prior Frère Roger höchstes Lob.

 

Zum Osterfest 1998 sprach er in der wieder einmal völlig überfüllten Versöhnungskirche folgende Worte:

„Jesus Christus, selbst wenn deine Auferstehung nur eine ganz schwache Flamme in uns entzündet, lässt sie uns in Gemeinschaft mit dir leben.

Und durch dein Evangelium begreifen wir, dass du nicht nur für einen Teil der Menschheit auf die Erde kamst, sondern für alle Menschen, auch für die, denen nicht bewusst ist, dass du in ihnen gegenwärtig bist.“

 

Bei den Europäischen Jugendtreffen schließlich gelingt es den Brüdern sogar, riesige, nüchterne Messehallen in regelrechte Kathedralen voll von begeisterten Betern zu verwandeln. Schöner kann das Bewahren und Voranschreiten kaum sein, als dass sich das Gebet in die ganze Welt, eben auch die so genannte profane, ausbreitet.

Wer jemals gemeinsam mit Tausenden anderen an einem solchen Ereignis teilgenommen hat, wird erstaunt feststellen, dass es sich hier um eine höchst einfache Angelegenheit handelt:

Eine Gemeinschaft von Brüdern kommt, geleitet von ihrem Prior, zum Gebet zusammen und lädt alle Menschen guten Willens ein, in den Lobpreis Gottes mit ein zustimmen.

 

 

„Gott könnte ohne unser Gebet auskommen. Es ist sein Geheimnis, dass er so großen Wert darauf legt.“ [54]

 

„Es gibt viele Wege des Gebets. Die einen gehen nur einen einzigen, andere gehen alle. Es gibt Augenblicke einer lebendigen Gewissheit: Christus ist da, er spricht in unserm Innern. In anderen Momenten ist er der Schweigende, ein ferner Unbekannter. Im Gebet gibt es keine Bevorzugten. Für alle bleibt das Gebet in seinen unendlichen Abwandlungen ein Durchgang zu einem Leben, das nicht aus uns selber, sondern von anderswoher kommt.“ [55]

 

„Magst du auch keinen fühlbaren Widerhall spüren, die geheimnisvolle Gegenwart Christi weicht nie von dir. Mag dir vorkommen, als regten sich Zweifel - in dir ist vor allem das Wunder seiner steten Gegenwart.“[56]

 

 

 

3. Kontemplation

 

 

Mutter Teresa:

 

Als kontemplative Menschen mitten in der Welt zu leben, war eines der Grundanliegen von Mutter Teresa für sich und ihre Schwestern und Brüder. In der Welt, und doch nicht von der Welt soll der Christ sein und so zum Aufbau des Reiches Gottes durch seine vom Gebet getragene Arbeit beitragen.

Mit dem inneren Blick auf das Wesentliche kann er in allen Bedrängnissen von außen und innen bestehen und so in sich die Welt verwandeln.

 

Mutter Teresa hatte das, was viele Menschen als Ausstrahlung und die Christen als Charisma bezeichnen. Sie, die in gewisser Weise ganz „Weltfremde“, bewegte sich mit schlafwandlerischer Sicherheit in genau dieser Welt und begeisterte nahezu jeden Menschen, dem sie begegnete.

 

Der heilige Ambrosius hat den vermeintlichen Widerspruch zwischen dem überall möglichen Gebet (vgl. 1Tim 2,8) und dem Gebet im verschlossenen Kämmerlein (vgl. Mt 6,6) so gelöst, dass er empfahl, die stille Kammer immer in sich selbst zu haben und gerade im Trubel der Ereignisse dorthin zu flüchten.[57] Mutter Teresa hatte wohl genau diese so altbewährte und heute wieder ganz aktuelle Fähigkeit, und das spürte man auch in ihrer Umgebung. Es war dieser innere Ruheort, in dem sie unaufhörlich mit ihrem Herrn und Meister sprach, und an dem sie ihre Kraft empfing.

 

Und doch war da mehr als reine Verinnerlichung und Selbstzugewandtheit. Pater Benedict Groeschel sagte einmal von ihr, dass sie, noch mehr als von der Anwesenheit der Person, die ihr gegenüber saß, von der Anwesenheit Jesu Christi in eben diesem Zimmer überzeugt gewesen sei.[58]

 

„Unsere Kontemplation ist reine Freude: das freudige Bewusstsein der Gegenwart des Herrn.

Sie ist tiefes Schweigen: ein Schweigen, in dem wir seine Fülle erfahren.

Die Kontemplation ist unser Leben.“ [59]

„Das aktive und das kontemplative Leben schließen einander nicht aus, im Gegenteil: Sie brauchen einander, sie bereichern und ergänzen sich. Damit das Tun fruchtbar wird, bedarf es der Kontemplation. Wenn diese eine gewisse Tiefe erreicht, strahlt sie auf das Tun zurück. In der Kontemplation erhält der Christ unmittelbar die Gnaden, die er in seinem aktiven Leben austeilen kann.“[60]

 

 

 

Frère Roger:

 

Auch Frère Roger ist es gelungen, als kontemplativer Mensch ein Weltzugewandtes Leben zu führen. Schon sehr früh beschäftigte ihn die Frage, wie ein Christ seinen Glauben ganz im Bewusstsein des schon in dieser Zeit angebrochenen Gottesreiches leben könne.

 

Die Aufnahme von Flüchtlingen unter eigener Lebensgefahr, die Gründung einer Molkereigenossenschaft für die Bauern seiner Umgebung und das Verdienen des Lebensunterhalts der Gemeinschaft durch der Brüder eigene Arbeit sind nur einige Beispiele für eine Verwirklichung dieser „neuen“ Lebensform, die wir schon in der urkirchlichen Zeit finden.

 

Als dann in den sechziger Jahren die großen Protestbewegungen begannen, die ihre revolutionären Anliegen oft auch mit Gewalt durchsetzen wollten, gab es kaum jemanden Berufeneren als Frère Roger, der den zumeist Jugendlichen einen Ausweg aus ihrem Dilemma von Apathie oder Umsturz geben konnte.

 

In seinem Buch „Kampf und Kontemplation“ versucht er zu zeigen, dass der konkrete Einsatz für die unterdrückten Menschen und das ruhige Vertrauen auf Gott harmonisch miteinander verbunden werden können, und sich dabei ein dritter Weg eröffnet. Gerade der Glaube fordert jeden einzelnen nämlich heraus, für eine menschenwürdige Welt zu kämpfen, aber als Christ wird er dies nach dem Beispiel Jesu nur mit friedlichen Mitteln tun.

 

In den Tagebuchaufzeichnungen finden sich viele Eintragungen über Gespräche mit jungen Christen aus der ganzen Welt, die um ein dem Evangelium getreues Leben ringen. Die meisten von ihnen waren enttäuscht von den Amtsträgern ihrer Kirche, die ihrer Meinung nach die wirklichen Anliegen der Menschen nicht verstanden, und nur einem erstarrten Ritus huldigten.

 

Viele von ihnen hatten sich entschlossen, den Weg der Gewalt einzuschlagen, weil ihnen alle bisherigen Versuche einer Veränderung der ungerechten Verhältnisse als fehlgeschlagen erschienen. Doch allein die Tatsache, dass sie trotz dieser Einstellung nach Taizé als einer deklariert gewaltfreien Gemeinschaft kamen, zeugt von der großen geistlichen Autorität und Offenheit des bewusst kontemplativen Frère Roger.

 

Taizé war  auch für viele junge Glieder der verfolgten Kirchen Lateinamerikas und Asiens ein Ort, wo sie diese drängenden Fragen besprechen konnten und im Geist des Gebets neue, zukunftsweisende Antworten erarbeiteten.

 

 

„Kontemplation wird oft als Gegenteil von Aktion begriffen. Sie sei Untätigkeit, Flucht vor verantwortungsvollen Aufgaben.

Dem stehen Tatsachen gegenüber: Christen, die sich im Einsatz für andere weit vorwagen, schöpfen ihre Energien aus den Quellen der Kontemplation.“ [61]

 

Das Schweigen der Kontemplation. In jedem von uns verbergen sich Abgründe, Unbekanntes, Zweifel, wilde Leidenschaften, geheimes Leid,... aber auch Schuldgefühle, niemals Eingestandenes, so sehr, dass sich uns ungeheure Leeren auftun. Triebe wühlen uns auf, man weiß nicht, woher sie kommen - urväterliche Erinnerungen oder genetische Bestimmtheit ?

Wenn wir Christus mit kindlichem Vertrauen in uns beten lassen, werden eines Tages die Abgründe bewohnbar sein. Eines Tages, später einmal, werden wir feststellen, dass sich in uns eine Revolution vollzogen hat.“ [62]

 

 

4. Hingabe

 

 

Mutter Teresa:

 

Die Hingabe war ein für Mutter Teresa typisches Merkmal. Vieles, von dem bisher schon die Rede war, spielt hier herein und erscheint noch einmal in einem helleren Licht.

Hingabe ist gleichsam die Reifeprüfung für Glaube, Liebe und Hoffnung und in gewisser Weise ihre jetzt schon sichtbare Vollendung.

Im vollen Vertrauen auf den allmächtigen Gott gibt der Mensch sich ganz in seine Hände, in einer absichtslosen Hoffnung, und antwortet damit auf unüberbietbare Weise in Liebe auf den sich ihm in unendlicher Liebe schenkenden Gott.

 

In den Biographien der meisten Heiligen finden wir einen ganz entscheidenden Schritt der Hingabe, der sich in der Folge in vielen weiteren kleineren Schritten entfaltet. An einem konkreten Punkt setzen sie in klarem Bewusstsein alles auf den einen Gott und gewinnen damit schon im voraus das gesamte Leben.  

 

Mutter Teresa eigentlicher Akt der Hingabe hatte eine lange Vorgeschichte und vollzog sich schließlich in aller Stille und ohne jeden Zweifel auf der schon erwähnten Bahnfahrt am

10. September 1946. Sie fügte sich ganz in den Willen Gottes, der somit ihr eigener werden konnte und wurde damit zu seinem allezeit verfügbaren Werkzeug. Als kleiner Bleistift in seiner Hand hat sie sich oft bezeichnet, der manchmal nur schlecht schreibt und manchmal auch abbricht. Ein Stift, der immer wieder gespitzt werden muss, und der eigentlich keine Beachtung verdient, da diese ganz dem Schreiber und seinen auf das Papier seiner Schöpfung geschriebenen Gedanken gebührt.

 

Die täglichen Entfaltungen dieser Hingabe waren zu viele, als dass man sie zählen könnte, und doch drückte sich in jeder einzelnen das Ganze aus. Der Grundentschluss, zu den Ärmsten der Armen zu gehen, fand seine Bestätigung in den vielen Liebeserweisen ihnen gegenüber, die manchmal eine schier übermenschliche Überwindungskraft forderten.

Doch gibt der Heilige Geist nicht nur die Kraft zu jedem guten Werk, sondern er gibt auch den Humor in ernsten Lebenssituationen. Als sie eines Tages vor den Augen eines Journalisten die übel riechenden Wunden eines Aussätzigen verband, meinte dieser, dass er dies nicht für eine Million Dollar täte.

Mutter Teresa antwortete lächelnd: „Ich auch nicht.“ [63]

 

 

„Unsere Ganzhingabe besteht in der völligen Verfügbarkeit für Gott und seine Kirche. Das drückt sich aus in unserer Verfügbarkeit für den Verantwortlichen der Gemeinschaft, für unsere Brüder und für die Armen, denen wir dienen. So vermögen wir alles durch ihn, der uns Kraft gibt (vgl. Phil 4,13).“ [64]

 

„Völlige Selbstaufgabe bedeutet, mit einem Lächeln das zu akzeptieren, was er gibt und was er nimmt. Es ist das Akzeptieren, dass man in Stücke gerissen wird und jedes Stück noch ihm gehört. Wir müssen Leere hinnehmen, zerbrochen zu werden, Erfolg und Fehlschlag hinnehmen.

Zu geben, was immer verlangt wird - und wenn es dein guter Name oder deine Gesundheit ist - das ist Selbstaufgabe,

und dann bist du frei.“ [65]

 

 

 

 

 

 

Frère Roger:

 

Bei Frère Roger ist das mit Hingabe Gemeinte ebenfalls ein immer wiederkehrendes Thema, auch wenn er es mit anderen Worten ausdrückt. „Endgültiger Entschluss“ meint genau diese letzte Entschiedenheit und die nicht rückgängig zu machende Entscheidung. Frère Rogers einzigartiger Akt der Hingabe ereignete sich wohl in jener bedeutungsschweren Nacht des

Sommers 1942, als er, in höchster Gefahr durch die Behörden des besetzten Frankreich, Gott sein Leben als Unterpfand für das von ihm begonnene Werk der Versöhnung anbot.

 

Dieser so große Treueerweis wurde auf eine ganz erstaunliche Art und Weise beantwortet. Mitten in der evangelisch-ökumenischen Geisteswelt blühte nach dem Krieg plötzlich eine Lebensform auf, die Martin Luther, wohl auch aus persönlicher schmerzlicher Erfahrung heraus, nahezu gänzlich verworfen hatte.

Sieben Brüder schlossen sich 1949 in Taizé unter der Führung des Priors Frère Roger zum ersten und einzigen Männerorden dieser Kirche zusammen, um ein Gleichnis der Geschwisterlichkeit und der Versöhnung zwischen den Rassen, Völkern und Religionen zu sein.

Das Ordensleben als eine ganz eigenständige und höchst geschichtsträchtige Form der Hingabe in einer christlichen Gemeinschaft hatte so eine überraschende Geburt im reformatorischen Raum erfahren.

 

Bis heute ist dieser Aufbruch viel beachtet und vieldiskutiert geblieben.[66] Insbesondere die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen hat natürlich gerade im evangelischen Bereich für großes Erstaunen gesorgt und zum Gespräch darüber angeregt, wie ein Engagement auf Lebenszeit im ständigen Hören auf den Ruf Gottes gelebt werden kann.    

          

 

 

5. Demut

 

 

Mutter Teresa:

 

Franziskus sagte einmal, dass ohne die Demut alles andere nichts sei, und dieser Einsicht gemäß versuchte auch Mutter Teresa ihr Leben zu führen.

Demut ist Wahrheit, weil es die vielleicht  schlichteste und einfachste Tatsache ist, dass das Geschöpf von seinem Schöpfer, dass der Mensch von Gott, vollkommen abhängig ist.

 

Demut kann auch als Dien - Mut verstanden werden und bedeutet dann die freudig - gelassene Anerkennung Gottes als des einzigen und wahren Herrschers. Erstaunlicherweise wird der Mensch dadurch aber gerade nicht zu einem ausgebeuteten Knecht degradiert, sondern in die volle Freiheit der Kinder Gottes geführt, die nicht mehr Sklaven ihres eigenen Egos sind.

 

In dieser Haltung kann der Mensch auch in aller Dankbarkeit die Erlösung durch Gott selbst, die in Tod und Auferstehung Jesu Christi Wirklichkeit geworden ist, annehmen.

Wem dies geschenkt wird, der darf sich von nun an zu denen zählen, die der Herr „nicht mehr Knechte, sondern Freunde nennt.“ (vgl. Joh 15,15), denn aus der Knechtschaft an die Verweigerung Gottes, die Sünde, hat er sie durch seinen Tod am Kreuz erlöst.

 

Mutter Teresas Demut wurde in ihrem Leben immer wieder aufs neue erprobt, und je älter sie wurde, umso größere Herausforderungen kamen auf sie zu.

 

Ihre einfache und bescheidene Art, Gott und den Menschen zu dienen hatte sie schon von Jugend auf und in ihrer Zeit bei den Loreto - Schwestern ganz wesentlich bestimmt.

Um den Willen Gottes ganz erfüllen zu können, und ihm in den Ärmsten der Armen zu dienen, bedurfte es aber darüber hinaus einer demütigen Hartnäckigkeit, um allen menschlichen Widerständen zum Trotz und in aller Versöhntheit mit ihren bisherigen Mitschwestern, den Weg in die Slums von Kalkutta antreten zu können.

 

Ihr Mut zum Dienen wurde dort auf eine harte Probe gestellt, doch mit Gottes Hilfe konnte sie alle schweren Prüfungen des Anfangs bestehen.

Die eigentliche und für sie zunächst unbekannte Herausforderung war aber erst mit ihrer wachsenden und einzigartigen Popularität verbunden.

Man nannte sie schon bald den „Engel der Armen“, „die Mutter Kalkuttas“, „die Heilige“...etc.  und dies brachte sie in eine schwierige Situation.

 

Der Stolz in seinen vielfältigen Formen ist ja einerseits immer die Hauptversuchung des Menschen, andererseits soll der Mensch gerade durch seine großen Taten Gott vor den anderen bezeugen und braucht daher keineswegs sein Licht unter den Scheffel zu stellen.

Mutter Teresa bestand diese Prüfung auf vorbildliche Weise, indem sie ihren Dienst konsequent weiter erbrachte, und die große Aufmerksamkeit, die ihr dabei zuteil wurde, zum Lob Gottes und zum Wohl der Armen dankbar annahm.

 

  

„Wir sollten uns nie für unersetzlich halten. Gott hat seine eigenen Wege...

Er kann zulassen, dass einer begabten und fähigen Schwester alles misslingt. Gott sieht nur die Liebe. Wir können uns in der Arbeit abmühen bis zum Umfallen; wenn unsere Arbeit nicht mit Liebe durchwoben ist, ist sie unnütz.

Gott braucht unsere Arbeit nicht.“ [67]

 

„Heute zeigt sich Jesu Demut in seiner ständigen verborgenen Gegenwart im Tabernakel.

Er hat sich zu einem kleinen Stück Brot gemacht, so dass der Priester ihn mit zwei Fingern halten kann.“ [68]

 

„Demut ist nichts als Wahrheit. Was haben wir, das wir nicht empfangen hätten?  fragt Paulus.

Wenn wir davon überzeugt sind, werden wir niemals stolz und herablassend sein.

Wenn ihr demütig seid, berührt euch nichts, weder Lob noch Tadel, weil ihr wisst, was ihr seid.

Wenn man euch tadelt, entmutigt es euch nicht. Wenn man euch Heilige nennt, habt ihr euch nicht selbst auf den Sockel.

Selbsterkenntnis lässt uns niederknien.“ [69]

 

 

 

Frère Roger:

 

Neben Mutter Teresa gibt es nur wenige Christen, denen in unserem Jahrhundert so viel Anerkennung zuteil wurde wie Frère Roger.

 

Auch sein Leben war stets von einer schlichten Demut geprägt, die seinem tiefen Verstehen der Größe Gottes entsprang.

Die Liebe zu seinem unendlich mächtigen und dennoch unendlich demütigen Herrn Jesus Christus, der sich erniedrigte und ein Mensch wurde, um in seiner Niedrigkeit am Kreuz die Menschen aus ihrer Sklaverei des Stolzes zu befreien, war der Grund für seine große Bereitschaft, den Geschöpfen zu dienen.

 

Dieser Mut zum Dienen machte paradoxerweise auch ihn, der in einer auf ihren eigenen Ruhm bedachten Welt vor allem der Ehre Gottes zu dienen suchte, schon bald zu einer Berühmtheit.

„Vorreiter der Ökumene“, „Geistlicher Meister“, „Nachfolger des Franziskus“...etc. wurde er genannt, dabei wollten er und seine Brüder nichts anderes als ein kleines Gleichnis der Versöhnung leben.

 

Ähnlich wie Mutter Teresa nahm er diese zunächst ungewohnte und stets neu zu überdenkende Popularität schließlich als Geschenk Gottes an und hat sie bis zum heutigen Tag als Werkzeug für den Aufbau des Reiches Gottes eingesetzt.

 

 

„Christus macht aus uns nicht Menschen, die es geschafft haben.

Er bewahrt uns in seiner Nähe, als Menschen, die hell und klar sind wie der Himmel im Frühjahr, im erwachenden Frühling.“ [70]

 

„Wir wollen weder eine Bewegung gründen, noch ein Vorbild sein...

Gott allein wird uns im Leben von Ewigkeit sagen, was wir gewesen sind.“ [71]

 

 

 

6. Freude

 

 

Mutter Teresa:

 

Mutter Teresa und ihr Orden waren immer untrennbar mit der Freude verbunden.

Erstaunlicherweise haben gerade sie, die wie kaum eine andere geistliche Gemeinschaft ganz tief in das menschliche Leid und Elend hinab gestiegen sind, eine außergewöhnliche Freude erfahren.

 

Diese Freude ist im Grunde dieselbe wie die Auferstehungsfreude der Jünger Jesu zu Ostern, die es vor Freude kaum fassen konnten, dass ihr Herr und Meister lebt.

Dem Auferstandenen täglich aufs Neue in der Eucharistie zu begegnen, und ihn dann in den Hilfesuchenden Menschen zu erkennen, ist die Quelle, aus der die Freude der Schwestern und ihrer Mutter entsprang.

 

Mutter Teresa betonte, dass diese Freude das Tragen so vieler Lasten, insbesondere auch der körperlichen, überhaupt erst ermögliche und gleichzeitig wie ein Licht Gottes auf den Gesichtern der Schwestern mitten im menschlichen Elend sei.

Selbst die Freude ist Gabe und Aufgabe, und die stets freundliche kleine Nonne wurde nicht müde, ihre Schwestern daran zu erinnern, sich um diese wunderschöne Himmelsgabe zu bemühen.  

 

Sehr schön kann auch hier eine kurze Geschichte das eben Gesagte verdeutlichen:

„Einmal ging ich die Straße entlang, und ein Bettler kam auf mich zu und sagte:

,Mutter Teresa, alle geben ihnen etwas, ich möchte ihnen auch etwas geben. Heute habe ich für den ganzen Tag nur 29 Paise, und die will ich ihnen geben.’

Ich dachte einen Augenblick: Wenn ich das Geld nehme (29 Paise sind nichts wert), hat er heute abends nichts zu essen, und wenn ich es nicht nehme, wird ihn das kränken.

Also streckte ich die Hände aus und nahm das Geld.

Ich habe niemals so viel Freude gesehen wie in dem Gesicht dieses Bettlers...“ [72]

 

 

„Die Freude unseres auferstandenen Herrn sei die Kraft bei eurer Arbeit, der Weg, der euch zum Vater führt, das Licht, das euch leitet, und euer Brot des Lebens.“ [73]

 

„Wir werden nie wissen, wie viel Gutes ein einfaches Lächeln vollbringen kann.

Wir sprechen von unserem guten, gütigen und verständnisvollen Gott.

Sind wir der lebende Beweis dafür?

Es sollte niemals jemand zu Dir kommen, ohne dass er Dich glücklicher verlässt und es ihm besser geht.“ [74]

 

 

 

 

 

Frère Roger:

 

Auch Frère Roger und die Gemeinschaft von Taizé sind an der Freude, die sie erfüllt, zu erkennen.

Sie war stets der Lohn und die tragende Kraft für die vielen Aufgaben der kleinen Communauté und ermöglichte oftmals deren gleichsam spielerische Bewältigung.

 

Die Brüder strahlen eine große Freude aus, und haben dadurch schon viele zweifelnde Menschen dazu angeregt, den Grund dieser Freude zu suchen.

Der Urheber auch ihres Glücks ist Gott, der ihnen im auferstandenen Jesus Christus begegnet und ihnen die Frohmachende Aufgabe geschenkt hat, Diener der Versöhnung zu sein.

 

Schon dem Zusammenleben in der kleinen Communauté des Anfangs kam sehr zustatten, dass die Brüder herzlich lachen konnten.

„Da wir nur wenige waren, konnten wir schwierige Augenblicke gut überstehen, indem wir ausgiebig lachten. Lachen war Teil unseres Lebens. Schon der geringste Anlass genügte, sogar beim gemeinsamen Gebet.“ [75]

 

 

„Weine, Seele meiner Seele, über die Not so vieler Menschen, denen ich heute begegnet bin.

Er hat es übernommen, den Weg zu bahnen. Mein Fuß stolpert auf dem steinigen Pfad...

Dennoch, wage, weiterzugehen, ohne zurückzuschauen, geh weiter auf das Staunen, auf das Ungeahnte zu.

Und wenn die Freude Gottes im Menschen der letzte Sinn des Lebens wäre?“ [76]

 

 

 

 

7. Heiligkeit

 

 

Mutter Teresa:

 

Demut ist Wahrheit, und Demut führt zur Heiligkeit.

So einfach lässt sich der geistliche Weg Mutter Teresas beschreiben, der an diesem Punkt besonders bemerkenswert ist.

 

Das Wort „Heiligkeit“ hat heute einen geradezu unwirklichen Klang. In einer Zeit, in der das mannigfache Elend, das Menschen einander bereiten, so offensichtlich wie nie zuvor ist, wird es oft nur mehr ironisch oder romantisierend gebraucht und hat seine eigentliche Bedeutung nahezu völlig verloren.

 

Heilig sein bedeutet ursprünglich, einem anderen zu gehören und dadurch herausgenommen oder abgesondert zu sein. Der heilige Mensch gehört zuerst ganz Gott, und erst daraus ergibt sich sein Verhältnis zu seinen Mitmenschen, und eben dazu ist schlussendlich jeder Mensch aufgerufen.

 

Dieses Grundthema des Menschseins wird aber immer erst dann aktuell, wenn jemand dieses Eigentliche in seinem Leben verwirklicht, und Mutter Teresa tat dies auf eine im

20. Jahrhundert einzigartige Weise.

Sie, die konservative Heilige der modernen Zeit, kann auch uns helfen, die zu werden, als die Gott uns mit seiner ganzen Liebe haben will. 

 

 

„Wir müssen heilig werden.

Nicht, weil wir uns als Heilige fühlen wollen, sondern damit Christus in Fülle in uns leben kann.“ [77]

„Ich darf nicht beurteilen, wie Gott an mir handelt...

Ich bitte ihn einfach darum, dass er mich heilig werden lässt. Wie diese Heiligkeit aussieht und welche Mittel und Wege dahin führen, darüber kann nur er befinden.“ [78]

 

„Jesus möchte, dass wir heilig sind, wie sein Vater heilig ist. Wir können große Heilige werden, wenn wir es nur wollen.

Heiligkeit ist nicht ein Luxus für wenige, sondern eine einfache Pflicht für dich und mich.“ [79]

 

 

 

Frère Roger:

 

Frère Roger spricht nur selten über die Heiligkeit, wohl wissend, wie missverständlich dieses Wort in der heutigen Zeit ist, doch sein ganzes Leben spiegelt den Durst nach eben dieser Heiligkeit wider.

 

In der Nachfolge Jesu wurde er aus seiner bisherigen Umgebung herausgenommen und von Gott an einen entlegenen Ort gesandt, den man heute berechtigterweise als heiligen Ort bezeichnen darf.

Auch Frère Roger geht der Ruf der Heiligkeit voraus, und das in einem Jahrhundert, in dem man mit der Verleihung dieses Prädikates an lebende Personen so sparsam wie nie zuvor umgegangen ist. Ebenso wie Mutter Teresa ist es ihm jedoch gelungen, von derlei Lobeshymnen nahezu gänzlich unbeeindruckt, täglich neu zu versuchen, die einfache menschliche Pflicht der Heiligkeit zu erfüllen. 

 

 

„Gibt es für den Christen heute ein anderes Verhalten als das, dessen Namen man sich scheut, niederzuschreiben: Heiligkeit?“ [80]

 

„In die Antwort auf die Worte Jesu: ,Komm und folge mir nach!’  kann man das Tiefste eines Herzens legen, das alles erwartet und alles geben will.

Dann finden wir in der Annäherung an die Heiligkeit Christi unsere wahre Identität:“ [81]

 

 

 

8. Vorsehung

 

 

Mutter Teresa:

 

Wenn diesem Thema besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird, dann hat das verschiedene Gründe.

Mutter Teresas Leben ist auf geheimnisvolle Weise vom Bewusstsein der Vorsehung geprägt, und so kann sie geradezu als Lehrmeisterin für eine oft missverstandene und vielen Menschen unseres Jahrhunderts unzugängliche Wirklichkeit angesehen werden.

 

Wiederum sind zwei sehr oft benützte Straßengräben links und rechts liegen zu lassen, um den Weg dessen zu finden, was mit Vorsehung ausgedrückt werden soll. Auf der einen Seite der Determinismus, der behauptet, dass das Schicksal der Schöpfung mehr oder weniger genau bereits ein für allemal vorgegeben ist. Auf der anderen Seite der Indeterminismus, der festlegt, dass mehr oder weniger nichts festgelegt ist.

Das Dilemma entsteht vor allem deshalb, weil man sich oft bemüht hat, eine klare, letztverbindliche Antwort zu finden, eine Vorgangsweise, die dem „Gegenstand“, nämlich dem gesamten, geheimnisvollen Dasein nicht gerecht wird.

Im christlichen Sinn wird Vorsehung als der ewige Heilsplan Gottes für seine Schöpfung angesehen, von dem wir dank seiner Offenbarung einiges erahnen, den wir aber niemals gänzlich erfassen können.

Insbesondere werden wir auch über das Ziel der Schöpfung, nämlich deren Vollendung als vollkommenes Reich Gottes unterwiesen, aber ob und wann dieses Ziel auch tatsächlich erreicht werden wird, können wir nicht sagen.

 

Für Mutter Teresa war nun all dieses allzu nüchtern anmutende theoretische Wissen in ihrem Verständnis der Vorsehung unausgesprochen immer enthalten, aber ihr ging es noch viel mehr darum, wie der einzelne Mensch diese beglückende Tatsache in seiner persönlichen Beziehung zu Gott erfahren kann.

 

Einer dieser einzelnen Menschen war sie selbst, und wann immer sie von ihren Erfahrungen mit dem gütig sorgenden Herrn erzählte, war darin die Einladung zu hören, sich ihm in allen Lebenslagen anzuvertrauen. Die Früchte dieses Vertrauens, die dann dazugegeben werden, waren bei Mutter Teresa so zahlreich und vielfältig, dass sie unzählige Menschen aus verschiedensten Gründen dazu veranlassten, ihrem Beispiel nachzueifern.

 

Viel besser aber als alle Deutungsversuche können die von ihr selbst erlebten Begebenheiten erahnen lassen, was mit der gütigen Vorsehung Gottes gemeint ist. Darum soll ihnen hier ein besonderer Platz eingeräumt werden.

 

 

„Eines Tages kam in Kalkutta ein Mann mit einem Arzneirezept zu uns. Er sagte: ,Mein einziges Kind liegt im Sterben. Die Medizin, die es braucht , gibt es in Indien nicht, man muss sie aus dem Ausland einführen.’

Genau in diesem Augenblick - wir sprachen noch miteinander - kam ein Mann mit einem Korb voller Medikamente. Obenauf lag das gesuchte Medikament.

Hätte es darunter gelegen, hätte ich es nicht gesehen. Wäre er vorher gekommen oder nachher, hätte ich es nicht sehen können.

Aber genau zu dieser Zeit hat Gott sich in seiner zärtlichen Liebe unter Millionen und Abermillionen von Kindern so sehr um dieses kleine Kind in den Slums von Kalkutta gekümmert, dass er im richtigen Moment die Medizin schickte, um es zu retten.

Ich preise die Zärtlichkeit und Liebe Gottes, denn jedes Kind, ob aus einer armen oder reichen Familie, ist ein Kind Gottes, geschaffen vom Schöpfer aller Dinge.“ [82]

 

Als die kleine Gemeinschaft in Kalkutta einmal wirklich nichts mehr zu essen hatte, klopfte es plötzlich an die Tür. Eine Frau stand da mit ein paar Tüten Reis, und sagte bloß, dass ein unerklärlicher Impuls sie hierher geführt habe. Die Menge Reis reichte genau für das Abendessen. [83]

 

„Wir suchten ein Haus in London, um unser erstes europäisches Noviziat eröffnen zu könne. Es gab viel Schwierigkeiten. Nach zahlreichen Versuchen meldete sich eine englische Dame: ,Ich habe tatsächlich ein Haus zu verkaufen, aber es kostet 6500 Pfund in bar. Ich glaube an nichts, aber ich glaube an Ihr Werk.’

Tagelang liefen die Schwestern durch die Stadt, machten Besuche, führten Gespräche, sprachen durch den Rundfunk. Als sie eines Nachts die Summe zählten, die sie bekommen hatten, waren es genau 6500 Pfund. Am nächsten Morgen wurde das Haus gekauft.“ [84]

 

 

„Vertrauen auf die göttliche Vorsehung ist der feste, lebendige Glaube, dass Gott uns helfen kann und helfen wird. Dass er uns helfen kann, ist offenkundig, denn er ist allmächtig. Dass er uns helfen wird, ist sicher, weil er es an vielen Stellen der Heilligen Schrift versprochen hat und all seine Versprechen treu hält.“ [85]

 

 

Frère Roger:

 

Frère Roger spricht in seinen Schriften nie ausdrücklich von der Vorsehung, doch das damit Gemeinte zählt natürlich auch zu den Grundfesten seiner Spiritualität.

Überhaupt gingen Mutter Teresa und er in der Wahl ihrer Worte manchmal zwei unterschiedliche, aber jeweils sich ergänzende Wege.

Während Mutter Teresa mit großer Freiheit aus dem Schatz der oft seit Jahrhunderten überlieferten Begriffe auswählte und sie durch ihren einfachen Gebrauch zu neuem Leben erweckte, versuchte Frère Roger, Worte, die durch ihre übermäßige Verwendung oftmals schon missverständlich geworden waren, durch bedeutungsgleiche und verständlichere Ausdrücke zu ersetzen.

 

Der Begriff Vorsehung ist wohl ein Musterbeispiel für das eben Gesagte, und daher gilt nun die Aufmerksamkeit der Art und Weise, wie Frère Roger dessen Bedeutung in Worte fasst.

Bei ihm ist es vor allem das Staunen darüber, wie wunderbar Gott seinen persönlichen Weg geführt hat, und wie sinnvoll sich viele Ereignisse seiner Vergangenheit in die jeweilige Gegenwart gefügt und sie dadurch verklärt haben.

 

Mitten im ersten Weltkrieg wurde der spätere begeisterte Rufer zur Versöhnung 1915 in eine Pastorenfamilie hineingeboren, in der er die Religion gleichsam mit der Muttermilch in sich aufnahm.

Das Vorbild seiner Großmutter, die als Reformierte mit voller Überzeugung und Entschiedenheit den katholischen Gottesdienst besuchte, und deren Glaube sich in mutigen Werken der Nächstenliebe verwirklichte, prägt ihn bis heute.

 

Die Jahre des Zweifels in der Jugend und des dann umso entschiedeneren Einsatzes für den als Lebensgrund erkannten Herrn verbanden ihn seit jeher mit der suchenden und zur Wahrhaftigkeit bereiten jungen Generation, deren väterlicher Freund er viele Jahrzehnte hindurch bis zum heutigen Tage gewesen ist.

 

Sein frühes Interesse an den Formen des Ordenslebens, denen er auch seine Doktorarbeit widmete, sind gerade aus der evangelischen Umgebung heraus, in der er aufwuchs, höchst bemerkenswert und es ist ein erstaunliches Zeichen der Zeit, dass gerade der kleine ökumenische Orden der Communauté von Taizé weltweite Vorbildwirkung erlangen durfte.

 

Das ist umso interessanter, wenn man bedenkt, dass das Wunder von Taizé sich in einem Teil Europas ereignete, der als Brennpunkt des christlichen Lebens bezeichnet werden kann. Unmittelbar neben dem einstigen Reformkloster Cluny gelegen, das über Jahrhunderte das Abendland prägte, und nicht weit entfernt von Paray le Monial, dem Ursprungsort der Herz Jesu Verehrung, von Ars, dem Wirkungsgebiet des heiligen Pfarrers Jean Marie Vianney und schließlich von Chateauneuf, dem Ort einer großen heiligmäßigen Frau unseres Jahrhunderts, Marthe Robin, der Frère Roger persönlich begegnete.

 

Besonders zu erwähnen ist natürlich auch seine Freundschaft mit Johannes XXIII., dem gütigen Mann der Kirche in der Mitte unseres Jahrhunderts. Er, den Frère Roger als den geistlichen Vater seiner Gemeinschaft bezeichnete, war genau der richtige Mensch zur richtigen Zeit. Seine liebevolle Sorge um Taizé, das er einmal den „kleinen Frühling“ nannte, war der Ausdruck seines tiefen Erkennens des Wirken Gottes in unserer Welt.

 

Dies alles waren Zeichen der Vorsehung Gottes, der an diesem Ort, mit dieser Gemeinschaft etwas Großes vorhatte. Dieses eigentlich Große waren dann aber die unzähligen Jugendlichen, die seit Ende der Fünfziger Jahre zu dem unscheinbaren Hügel in Burgund strömten, um dort nach den Quellen des Glaubens zu suchen.

 

Immer wieder fragte sich Frère Roger in seinen Tagebuchaufzeichnungen, warum Gott gerade der kleinen, unauffälligen Communauté dieses unfassbare Geschenk gemacht hat.

Im letzten bleibt wohl nur der Verweis auf seinen Heilsplan, der unseren menschlichen Verstand bei weitem übersteigt und an gewissen Orten, und zu gewissen Zeiten in aller Schönheit zum Vorschein kommt.

 

 

Zwei Begebenheiten seien auch hier noch berichtet:

 

Frau de Brie, die Frère Roger 1940 ihr Haus in Taizé verkaufte, pflegte engen schriftlichen Kontakt zu einer Benediktinerschwester aus Dourgne, die ihr schon 1923 in einem Brief von einem ihrer Träume erzählt hatte:

„ In jener Nacht war ich zu ihnen nach Taizé versetzt. Es waren dort Mönche, die die Göttliche Liturgie sangen. Freude überflutete mein Herz...Vielleicht wird einer Ihrer Urenkel in naher oder ferner Zukunft das Band der Vergangenheit wieder aufnehmen und Cluny neu beginnen. Wer kennt Gottes Plan ?“ [86]

 

Um 1947 herum erzählte Frère Roger eine Frau, sie habe eines Tages, als sie im Gebet versunken durch den Ort gegangen sei, am Ausgang des Dorfes in einer Vision ein hoch aufgerichtetes Kreuz gesehen. Sie legte Wert darauf, den Platz genau anzugeben. Ihre Erzählung war Frère Roger etwas unheimlich, und er berichtete niemandem darüber. Viel später bemerkte er, dass die Kirche der Versöhnung genau an der Stelle gebaut worden war, wo die Frau damals das aufgerichtete Kreuz gesehen hatte. [87]                                

 

 

 

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